März 2021

Paradoxe als Zukunftstreiber – Zwischen kreativer Spannung und Spannungsfeld

Der proaktive Umgang mit Paradoxen ist eine dynamische Antwort auf eine dynamische Welt.

Bereits aus der Ambidextrie Forschung wird deutlich, dass Unternehmen sich nicht mehr zwischen Sicherheit, Vorhersagbarkeit und Kontrolle oder Mehrdeutigkeit, Anpassungsfähigkeit und Freiraum entscheiden können. In der Realität tun Unternehmen jedoch oft genau das – sie halten diese Spannungen nicht aus und eliminieren sie.

Unternehmen machen Paradoxe aber nur dann nutzbar, wenn sie sich bewusst nicht zwischen diesen entscheiden und einen Wege finden scheinbare Widersprüche zu harmonisieren.

(Shao, 2019).

Zhang et al. (2015) argumentieren, dass gerade die westlichen Kulturen Widersprüche als bedrohlich empfinden und zerlegen, wohingegen östliche Kulturen diese als Chance sehen und integrativ verbinden. In kaum einem Land sieht man dies so deutlich wie in China. China hat eine der stärksten Zensuren der Welt und ist gleichzeitig Innovationsreiter für Social Media Plattformen. Das Land ist kommunistisch und hat dennoch eine der stärksten wirtschaftlichen Wachstumsraten. Die kreativen Chancen aus Paradoxen ergeben sich dann, wenn wir Widersprüche nicht durch eine Entweder/ Oder Mentalität auflösen, sondern durch eine UND-Mentalität bewusst fördern. Dies wird von Lewis et al. (2014) auch als strategische Agilität bezeichnet und als Erfolgsrezept für stabile UND anpassungsfähige Unternehmen.

Es geht also nicht um ein Bekämpfen von Paradoxen, sondern darum kreative Spannung bewusst zu fördern. Durch das ständige Ausbalancieren werden die richtigen Lösungsansätze für das Bestehen in einem dynamischen Umfeld gefunden. Hierfür werden Unternehmen eine klare Zielausrichtung und Micro-Entrepreneurship brauchen. Erstens wird die Zielausrichtung (z.B. Vision) das Entscheidungskriterium darüber sein, welche Seite des Paradoxes wir in einer Situation brauchen. Zweitens werden sich diese Entscheidungen auf Grund ihrer hohen Taktung und Dynamik immer mehr von der Führungs- auf die Mitarbeiterebene verlagern. Die Mitarbeitenden werden so zu  Micro-Entrepreneuren, denn nur sie sind nah genug am operativen Tagesgeschäft und den Kunden, um im Sinne des Unternehmens intuitiv das richtige Maß zwischen beispielsweise Nullfehlertoleranz und Schnelligkeit zu finden.

Es liegt jedoch nicht in der Natur unserer Organisationsysteme Paradoxe zu akzeptieren und eine UND Mentalität zu leben. Dies würde voraussetzen, dass wir Organisationen schaffen, die flexibel und anpassbar sind, um auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Bürokratie, Hierarchie und Planbarkeit prägen jedoch die meisten Unternehmen mit dem Sinn und Zweck Unsicherheit maximal zu reduzieren (Dohne et al., 2021). Sie verhindern regelrecht, dass wir das UND in Paradoxen für den Unternehmenserfolg nutzen und zwingen uns zu entscheiden. Diese Entscheidungen fallen oft zu Ungunsten des „Neuen“ aus, denn das „Altbekannte“ können wir schließlich managen. So sticht häufig das Kerngeschäft die Innovation, die hierarchische Führung die Selbstorganisation, träge Entscheidungswege das schnelle Handeln am Markt oder die Absicherungsmentalität das Zulassen von Scheitern. Da der überwiegende Teil unserer heutigen Organisationssysteme verhindert, dass wir Paradoxe als Zukunftstreiber nutzbar machen, müssen wir bei der Führung, der Kultur und dem Mindset – also beim Menschen – anfangen. Dem Umbau in den Köpfen muss jedoch auch der Umbau am System folgen (Berenbold & Vögel 2021). Andernfalls bringen wir Mitarbeitende in einen ständigen Kampf gegen das bestehende System und nicht in kreative Spannungen, sondern Spannungsfelder.

Folgende Empfehlungen helfen Unternehmen im Umgang mit Paradoxen:

  • Unternehmen müssen die für sie zukunftsrelevanten Paradoxe und deren schöpferisches Potential erkennen

  • Führungskräfte müssen die kreativen Spannungen der Paradoxe bewusst fördern für neue Lösungsfindungen und innovative Ansätze

  • Mitarbeiter im gesamten Unternehmen müssen die Zielausrichtung kennen, als Gradmesser für die richtigen Balance und um Micro-Entrepreneure zu werden

  • Neben den klassischen Organisationssystem müssen Unternehmen Zonen für Experimente, Selbstorganisation, Vernetzung im Ökosystem und Räume für Zufallsinnovationen und Co-Creation schaffen

  • Ownership, Ambiguitätstoleranz, Growth Mindset, Empowerment und Vertrauen müssen Teil der kulturellen DNA von Unternehmen werden

Auch der systemische Umbau wird nicht eindeutig sein, sondern ein scheinbares Paradox aus Bürokratie und Hierarchie sowie Freiraum und dynamischer Anpassung. Für beide Welten müssen wir Menschen in Unternehmen über dynamische Führungssysteme und fluide Zusammenarbeitsformen stärken. Der Grat zwischen kreativer Spannung und Spannungsfeld wird dabei klein sein und die Anpassungsfähigkeit, die wir von Unternehmen fordern, beginnt wie so oft bei uns selbst.

Quellen

Berenbold, S., Vögel, S. (2021). Wirksamer Change: Ein Appel gegen halbherzige Veränderungsvorhaben. Zeitschrift für Organisationsentwicklung, 1/2021, 44 – 47.

Dohne, K-D., Kaduk, S., Osmetz, D., Röösli, F. (2021). Agilität in Organisationen: Mission Impossible. Managermagazin, 276, 30 – 39.

Lewis, M. W., Andriopoulos, C. & Smith, W. K. (2014). Paradoxical leadership to enable strategic agility. California Management Review, 56(3), 58 – 77.

Shao, Y., Nijstad, B.A., Täuber, S. (2019). Creativity under workload pressure and integrative complexity: The double-edged sword of paradoxical leadership. Organizational Behaviour and Human Decision Processes, 158, 7- 19.

Zhang, Y., Waldmann, D.A., Han, Y.-L., Li, X.-B. (2015): Paradoxical leadership behaviors in people management: Antecedents and consequences. Academy of Management Journal, 58(2), 538 – 566.

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Dr. Sandra Berenbold | Impact290Degrees
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