April 2021

Führung unter Spannung

Anmerkung: Die Ausführungen stützen sich auf wissenschaftliche Ergebnisse der Doktorarbeit von Dr. Sandra Berenbold, Gründerin von Impact290Degrees

Paradoxe sind Zukunftstreiber und um kreative Spannungen in einer mehrdeutigen Welt nutzbar zu machen, braucht es einen hohen Grad an unternehmerischer Anpassungsfähigkeit. Diese Anpassungsfähigkeit wird stark bedingt durch dynamische Führungssysteme. Was ist mit dynamischen Führungssystemen gemeint und wie können wir diese in Unternehmen wirksam entwickeln?

Der Begriff dynamisches Führungssystem bringt zum Ausdruck, dass Führung im Unternehmen mehr sein muss als die Summe des Verhaltens der einzelnen Führungskräfte. Es ist auch mehr als die Entwicklung und Verankerung eines gemeinsamen Führungsverständnisses. Dynamik in der Führung entsteht durch die Interaktion von Führungskräften in Netzwerken, gegenseitige Verstärkung und das Auflösen von Systemblockaden. Sie entsteht vor allem aber auch durch das Bewusstsein, dass Führungsrollen fluide zwischen Ebenen und Personen wechseln können und nicht nur auf die Führungskräfte beschränkt sind.

Klassische Führungskräfteentwicklung –
Over and Out

Das zeigt, dass die Entwicklung von dynamischen Führungssystemen in Unternehmen deutlich umfangreicher ist als die heutige Führungskräfteentwicklung. Die klassische Führungskräfteentwicklung basiert vor allem auf Trainings und Coachinginterventionen, um Führungskräfte auf der Ebene Skills und Kompetenzen weiter zu entwickeln. Dies geschieht oft in umfangreichen und verpflichtenden Trainingsprogrammen. Diese Führungskräfteentwicklung ist in der Regel auf formale Führung beschränkt und nur ein Ausschnitt des Systems Führung.

Dynamische Führungssysteme entwickeln – Transformation vs. Programm

Um Führung als dynamisches System zu entwickeln muss Führungsentwicklung als Transformation der Führung und nicht nur als Trainingsprogramm verstanden werden. Die vollumfängliche Entwicklung dynamischer Führungssysteme besteht aus drei Ebenen und bezieht ebenso Mitarbeitende und deren informelle Führung mit ein:

  1. Mindset & Skills (Ebene Individuum):
    Die Entwicklung des Mindsets, gelebten Verhaltens und der Skills von Personen, die Führung im Unternehmen wahrnehmen (Dies ist nicht gleichzusetzen mit der Entwicklung von Führungskompetenzen)

  2. Vernetzung & Interaktion (Kollektive Ebene):
    Die Entwicklung von Ansteckungseffekten, Wissensgenerierung und Verstärkung von Personen, die Führung im Unternehmen wahrnehmen über den Aufbau von Ökosystemen, Communities, Plattformen und Peer-Koalitionen

  3. Führungskontext (Organisationale Ebene):
    Die Entwicklung der systemischen Faktoren und Rahmenbedingungen, welche die Wirksamkeit von Führung im Unternehmen beeinflussen

Alle drei Ebenen beeinflussen sich wechselseitig. Die Wirksamkeit von Führung kann nur dann vollumfänglich entstehen, wenn alle drei Ebenen auf einander einzahlen und sich nicht gegenseitig blockieren. Wie können wir sonst von Führungskräften erwarten, dass sie Freiraum schaffen und empowern, wenn wir sie weiterhin in Silos isolieren und durch KPI-Systeme fremdsteuern? Wie wollen wir Führungskräften inspirierendes Verhalten antrainieren, wenn wir die Sinnhaftigkeit des Unternehmens nur in wirtschaftlichen Erfolgsrechnungen messen?

Sandra Berenbold (2019) kann in ihrer Doktorarbeit zeigen, dass nur etwa 50% der Wirksamkeit von Führung durch die eigentliche Führungskompetenz bedingt werden und die anderen 50% vom Kontext und den organisationalen Rahmenbedingungen abhängen. Würden wir also Führung nur auf der Ebene des Individuums entwickeln, würden wir die Potentiale der Führungskräfte in Unternehmen etwa nur zur Hälfte ausschöpfen. Darüber hinaus zeigt sich, dass vor allem die Führungs-Highperformer stärker durch den Kontext beeinträchtigt werden, als die ohnehin weniger kompetenten Führungskräfte. Das heißt, dass kontextuelle Blockaden ausgerechnet bei sehr fähigen und willensstarken Führungskräften stärker anschlagen. Dieser Effekt wirkt zusätzlich verschärft in einem dynamischen Umfeld und bei starker Unsicherheit. Man kann so weit gehen zu sagen, dass wir durch unpassende Führungskontexte eine wirksame Führung verunmöglichen und Führungskräfte im Spannungsfeld aus hohen Anforderungen und der organisationalen Realität verbrennen. Gary & Hamel (2020) schließen es sogar aus, dass wir moderne Führungsformen in bürokratischen Systemen ausbilden können. Ihrer Argumentation nach werden die Lerneffekte aus Trainings direkt in bürokratischen Käfigen wieder neutralisiert und die Führungskräfte zurück in alte Muster gezwängt. Für viele Unternehmen ist dies ein bekanntes Phänomen und oft ein Kritikpunkt an Führungsprogrammen, welche im Class Room Aufbruchstimmung erzeugen, dann aber nicht den Transfer in den Führungsalltag schaffen.

Führungskräfteentwicklung ist also zwangsläufig auch Organisationsentwicklung und deswegen auch eine Transformation und nicht ein Programm. Um dynamische Führungssysteme zu entwickeln, müssen Unternehmen bereits sein sich auch systemisch zu verändern. Sie können nicht nur den Veränderungsdruck an die Führungskräfte weitergeben, in dem sie Anforderungen an Führung über Trainingsprogramme erhöhen und diese dann zurück im System sich selbst überlassen.

Drei Dynamic Leadership Hacks

Unsere überwiegend bürokratischen Systeme sind nicht für Dynamik gemacht (Dohne et al., 2021). Für die Entwicklung von dynamischen Führungssystemen wird es eine größere Transformation auf allen Ebenen und viel Zeit brauchen. Wie können wir dennoch erste starre Führungsmuster aufbrechen und über kleine Schritte eine Dynamisierung anstoßen? Hier sind drei Leadership Hacks, die sich auch vor der großen Transformation in jedem Führungskontext anwenden lassen:

Leadership Experimente:

Experimente können Anstoß für eine Veränderung sein, wenn sie in abgegrenzten Schutzzonen stattfinden. Auch hierarchische Systeme bieten solche Freiräume. Sie müssen nur bewusst geschafft werden, um Leadership Innovationen zu verproben. Manche Unternehmen bilden hierfür Pilotgruppen, die neue Führungsverhaltensweisen prototypisieren, in Experimenten im Alltag vertesten und gelungene Führungsstrategien ins Unternehmen multiplizieren

Challenge the System Rules:

Regeln und Strukturen in Unternehmen bringen uns oft in erlernte Hilflosigkeit. Selbst wenn es Möglichkeiten gäbe mehr Freiraum in bestehenden Systemen zu schaffen, sehen wir diese oft nicht. Führungskräfte können gemeinsam bestehende Regeln aktiv hinterfragen, ausloten oder neu interpretieren. Ein eindrückliches Beispiel für die neue Interpretation von Regeln ist die „It was never a dress“ Gleichstellungskampagne. In diesem Fall wurde an der Darstellung des Damentoilettenzeichens nie etwas verändert, aber die Perspektive vom Kleid in einen Superheldenumhang gedreht. Führung zu dynamisieren, heißt auch den Blickwinkel und die Perspektiven auf Bestehendes aktiv zu verändern.

Ansteckungsprozesse fördern & Mitstreiter suchen:

Für eine spürbare Veränderung von Mindset und Haltungen braucht es etwa 15% der Belegschaft eines Unternehmens. Das würde bedeuten, dass man eine erste Dynamisierung von Führung bereits durch die Initiative von 15% der Personen mit Führungsverantwortung im Unternehmen anstoßen könnte. Gleichzeitig gibt es wohl kaum ein Unternehmen, das die Vernetzung von Führungskräften auf Peer-Ebene und den gegenseitigen Austausch aktiv blockiert. Viel mehr sind neben den hierarchischen Strukturen keine bereichsübergreifenden Austauschplattformen geschaffen worden. Unternehmen können also auch direkt im bestehenden System Vernetzungsangebote schaffen, damit Führungskräfte Koalition bilden, sich gegenseitige unterstützen, Lösungen erarbeiten und Peer-Coachingsysteme aufzusetzen können

Spannung ist nicht gleich Spannung

Unternehmen müssen die Entwicklung von Führung auf allen drei Ebene angehen und insbesondere das organisationale System mit verändern, andernfalls bringen wir Führungskräfte in die Situation von Geisterfahrern auf einer Autobahn. Um eine UND Mentalität zu leben, müssen Unternehmen Paradoxe akzeptieren und anpassungsfähig bleiben. Auch Führungskräfte werden in Zukunft nicht frei von Spannungsfeldern agieren können. Führungsblockaden und Spannungen aus Paradoxen sind dabei jedoch nicht das gleiche und haben unterschiedliche Effekte. Spannungen durch Führungsblockaden müssen wir aus dem Weg räumen. Kreative Spannungsfelder müssen wir jedoch bewusst fördern und Führungssysteme schaffen, die diese nutzbar machen können.

Quellen

Berenbold, S. (2019). Entstehung eines wirksamen Führungsklimas – Eine empirische Untersuchung der positiven und negativen Treiber eines wirksamen Führungsklimas unter besonderer Berücksichtigung der Beschleunigungsfalle. Universität St. Gallen: Dissertationen.

Dohne, K-D., Kaduk, S., Osmetz, D., Rösli, F. (2021). Agilität in Organisationen: Mission Impossible. Managermagazin, 276, 30 – 39.

Hamel, G., Zanini, M. (2020). Humanocracy: Creating organizations as amazing as the people inside them. Harvard Business Review Press: Boston, MA.

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