Mai 2021
Co-Creation als Kultur-Hack – Die Kraft des Kollektivs für Transformationen aktivieren
„Co-Creation als Kultur-Hack“ gibt es auch zum Anhören im Podcast von Dr. Sandra Berenbold & Dr. Christian Bemmerl. Dr. Sandra Berenbold unterrichtet zu Co-Creation im berufsbegleitenden Master Transformationsdesign und Management an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Sie ist als Beirätin und Lehrbeauftragte des Studiengangs Teil einer neuen Managementbewegung und Mitgestalterin von zukunftsgerichteten Weiterbildungsprogrammen (siehe www.tdx.one).
Wir stehen vor einer Zeitwende. Unternehmen stehen vor der Herausforderung Organisationen zu schaffen, die nicht versuchen die Zukunft vorauszusagen, sondern auf Unvorhergesehenes reagieren zu können (vgl. Michael Hammer). Lange haben wir jedoch Organisationen auf den Prinzipien von Berechenbarkeit und Unsicherheitsreduktion aufgebaut. Diese Prinzipien werden jetzt durch Mehrdeutigkeit und den Bedarf an Schnelligkeit komplett auf den Kopf gestellt. Als Reaktion darauf arbeiten Unternehmen an ihrer Kultur – Für ein Mindset, das sich von Sicherheitsorientierung zu Ambiguitätstoleranz, von Absicherungsmentalität zu aktiver Verantwortungsübernahme und von Command-Control zu Empowerment „verändert“. Unsere bestehenden Systeme sind jedoch für dieses Mindset nicht gemacht. Sie sind dafür geschaffen Planbarkeit zu maximieren und fördern somit das Gegenteil von strategischer Anpassungsfähigkeit. Sie prägen unsere Kultur, indem sie uns immer wieder bewusst in bestehende Muster zurückdrängen und ein Ausbrechen nur schwer ermöglichen.
Kultur ist die DNA von Unternehmen und ein geteiltes Verständnis davon, was Unternehmen prägt und welche Haltungen sowie Verhaltensweisen erwünscht sind. Sie ist durch ihre Pfadabhängigkeiten nur sehr schwer veränderbar, kann aber durch positive Impulse weiterentwickelt werden (vgl. TDX.one). Diese Impulse oder auch Hacks lösen Lerneffekte durch Aha-Momente aus und beeinflussen so das kollektive Mindset (vgl. Institut für wertezentriertes Management). Dies hält Unternehmen anpassungsfähig für die Zukunft ohne Identitätsverluste auszulösen. Wichtig ist, dass diese Impulse selbst durch die Mitglieder des Unternehmens initiiert und von diesen erlebt werden. Kulturentwicklung ist daher immer das Auslösen einer aus sich heraus getragenen Bewegung und kann nicht etwas sein, dass durch Ansage von oben verordnet oder von außen verändert wird (vgl. Wörwag & Cloots, 2021).
Wenn wir die kulturelle DNA positiv beeinflussen möchten, brauchen wir also auch Methoden zur Kulturtransformation, die durch die richtigen Hacks Bewegungen auslösen und das „Logiken umdrehen“ fördern. Co-Creation nicht nur in Innovationsprozessen nach außen gerichtet, sondern auch zur Organisationsentwicklung nach innen gerichtet, kann ein solcher Kultur-Hack sein.
Was ist Co-Creation?
Die Co-Creation Methode kommt ursprünglich aus der Produktentwicklung unter Einbezug des Kunden in Innovationsprozesse (Prahalad & Ramaswamy, 2000). Beispielsweise integriert Adidas Spitzensportler in die Entwicklungsarbeit im Sinne von „empowering users to step into our shoes while we step into theirs” (Paul Gaudio, ehemaliger Adidas Global Creative Officer). Das Produkt wird dadurch zum Ergebnis eines gemeinsamen Prozesses mit dem Enduser und nicht das der Konzernmaschine. Der Kunde bekommt dabei eine Stimme, was emotionale Bindungen schafft und Unternehmensgrenzen verschwimmen lässt. Haufe spricht auch von „Smart Organizations“ mit der Fähigkeit zur schnellen Anpassungsfähigkeit. Unternehmen, die Co-Creation in Zusammenarbeit mit den Endusern nutzen, berichten auch davon, dass diese auch zunehmend ihre Kultur positiv prägen.
Während Co-Creation verstärkt für Innovationsprozesse genutzt wird, ist die Übertragung auf Kulturentwicklung noch eher selten. Dabei zeigt die Anwendung der Methoden auf das Innere des Unternehmens ähnliche Effekte. Sie fördert die Mitgestaltung der „Enduser“, die emotionale Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen, die Auflösung von Grenzen und die Generierung von neuem Wissen. Co-Creation ist immer ein Netzwerkansatz, bei dem man annimmt, dass sich die Lösung im Unternehmen selbst befindet und man möglichst viele Personen in Verbindung bringen muss, um diese Lösung herauszuarbeiten. Beispiele für Co-Creation in der Kulturtransformation sind u.a. das gemeinsame Entwickeln eines Führungsverständnisses oder die Verankerung von Unternehmenswerten in Dialogformaten. Der Begriff wird auch eng mit dem Konzept der kollektiven Intelligenz verbunden. Man aktiviert anders ausgedrückt die kollektive Kraft durch das Bereitstellen von Plattformen um diese zu „unlocken“ und stupst Unternehmen so systemisch an.
Es gibt jedoch drei Unterschiede bei der Anwendung von Co-Creation in der Kulturtransformation im Vergleich zu der Anwendung in Innovationsprozessen:
Der Fokus ist nicht auf dem Endprodukt, sondern auf dem Prozess selbst. Die kulturellen Hacks ergeben sich vor allem im gemeinsamen Erleben (z.B. bei der Entwicklung von Purpose, Vision oder Werten). Die Nebenwirkungen eines solchen Prozesses sind dabei wesentlicher als das Endprodukt.
Der Enduser ist intern (Mitarbeitende) und nicht extern (Kunden). Es werden möglichst viele von dem Endergebnis Betroffene beteiligt und nicht nur die Wenigen, die am besten etwas zum Thema beitragen können. Es geht um Repräsentativität und nicht um Exklusivität.
Ziel ist es das Erleben im Prozess zu ermöglichen, während es in Innovationsprojekten um Schnelligkeit in der Erarbeitung von Ergebnissen geht. Das dauert in der Regel gut und gerne ein halbes Jahr oder länger.
Durch Co-Creation hebeln wir aktiv bisher geltende Spielregeln unserer Systeme aus. Für das Gelingen ist daher die Glaubwürdigkeit besonders entscheidend. Es muss also vorab ein gemeinsames Verständnis zu der notwendigen Haltung geschaffen werden. Zentral dafür sind:
Akzeptanz von Ergebnisoffenheit: Co-Creation ist vor allem ein Dialog unter Einbindung möglichst vieler Betroffener und eine Art Aushandlungsprozess. Da sich die Lösung im Unternehmen selbst befindet und Wissensgenerierung auslöst, kann tatsächlich auch Unerwartetes oder Unerwünschtes rauskommen. Top-Führungskräfte müssen breit sein wirklich loszulassen und jedes Ergebnis annehmen zu können.
Willen zum Fördern des schwer Greifbaren: Co-Creation bedeutet auch den Perfektionsanspruch fallen zu lassen, denn die Ergebnisse sind oft nicht direkt sichtbar. Gerade wenn wir co-kreativ an der Haltung und dem kulturellen Verständnis arbeiten, bleibt vieles unter der Wasseroberfläche.
Bereitschaft zum Kontrollverlust: Co-Creation löst Dynamiken aus, die zwar gewollt, aber nicht planbar sind. Es benötigt die Bereitschaft eine Bewegung auszulösen und das Bewusstsein, dass sich diese im besten Falle verselbstständigt (vgl. Kluge & Kluge 2020).
Nebenwirkungen & Langzeitfolgen von Co-Creation? Mehr als einfach nur ergebnisoffener Dialog
Kulturentwicklung kann nicht durch Trainings und reine Kommunikation angestoßen werden, sondern nur durch direktes Erleben. Co-Creation als Prozess ermöglicht dieses Erleben. Betroffene können Einfluss auf Themen nehmen, die ihr Dasein in Organisationen prägen. Dies schafft nicht nur eine sehr hohe Akzeptanz, sondern auch eine starke Identifikation mit dem neuen Ergebnis. Entscheidend ist, dass die Verantwortung für das Ergebnis jederzeit bei den Mitgestaltern verbleibt. Nur so setzt Co-Creation auf zwei Ebenen langfristig positive Impulse:
Verankerung der Zielausrichtung: Co-Creation unterstützt in der Forcierung der langfristigen Orientierung durch die Auswahl der Themen (z.B. Purpose-Findung, Visionsentwicklung, Wertedialoge) (Outputorientierung)
Mindset & Haltung für Anpassungsfähigkeit: Co-Creation ist durch das Prozessdesign ein Hack für Kultur und fördert die Entwicklung eines Mindsets, welches fähig ist für dynamische Anpassungen (Prozessorientierung).
Kulturelle Nebenwirkungen sind in jedem Kontext unterschiedlich. Sie zahlen in Summe jedoch auf eine höhere Leistungsbereitschaft und Produktivität in der täglichen Zusammenarbeit ein. Häufig zeigt sich, dass:
Nähe geschaffen, Dialog gefördert und Silodenken abgebaut werden
Netzwerke und Plattformen geschaffen werden, die auch Bottom-up Initiativen zulassen
Emotionales Ownership und Commitment auch über den Prozess hinaus erhöht wird
Diese Langzeitfolgen und Nebenwirkungen müssen gewollt sein und Unternehmen sollte sich darüber Klarheit verschaffen bevor sie co-kreativ durchstarten. Dennoch finden sich oft kritische Stimmen. Die zwei häufigsten Gegenargumente für Co-Creation sind:
Zeit: Die Lösungsfindung dauert gefühlt sehr lange. Oft erscheint es Unternehmen einfacher Externe mit der Entwicklung einer Unternehmensvision zu beauftragen und nicht in den Prozess mit der Belegschaft zu investieren. Dabei wird unterschätzt, dass eine Unternehmensvision nur wirksam ist, wenn diese verankert und von allen geteilt wird. Diese Verankerung und Identifikation ist bereits Teil des co-kreativen Prozesses, welcher Entwicklung und Umsetzung in einem ist.
Aufwand durch Involvierung: Oft scheint der Aufwand bei knappen personellen Ressourcen nicht angemessen. Die Frage ist aber, wie viele Personen wir tatsächlich beteiligen müssen, um eine Bewegung auszulösen. In der Regel geht man davon aus, dass es etwa 10-15% der Belegschaft für eine spürbare Veränderung braucht. Tobias Krüger (Division Manager Kulturwandel 4.0 der Otto Gruppe) machte dies während eines persönlichen Austausches in einem Erfahrungsbeispiel fest. Im Falle des Kulturwandels bei der Otto Gruppe brauchte es 10% der Mannschaft, um die nächsten 60% zu gewinnen. Ähnliches beschreiben Kluge & Kluge (2020) in ihren Graswurzelbewegungen und der Rolle den ersten Follower am Beispiel des Tänzers.
Co-Creation eignet sich als Ansatz zur Kulturtransformation und kann ein Hack sein, der positive Impulse setzt und eine Bewegung auszulöst. Die gute Nachricht kommt zum Schluss: Co-Creation ist auch sehr gut virtuell umsetzbar und setzt auch dort eine unglaubliche Transformationsenergie frei.
Quellen
IWM (Institut für wertezentriertes Management)
Kluge, S., Kluge A. (2020): Graswurzelinitiativen in Unternehmen:
Ohne Auftrag mit Erfolg! München: Verlag Franz Vahlen GmbH
Prahalad, C.K., Ramaswamy, V. (2000):
Co-opting Customer Competence. Harvard Business Review, 78, 79–87.
TDX.one (Master Transformationsdesign & Management, HfWU)
Wörwag, S., Cloots, A (2021). Einleitung. In S. Wörwag & A. Cloots (Hrsg.). Arbeitskulturen im Wandel: Der Mensch in der New Work Culture. Wiesbaden: Springer Gabler.